Krisen – ob pandemisch, geopolitisch oder wirtschaftlich – sind längst kein Ausnahmezustand mehr, sondern Teil einer neuen Realität. Sie stellen Organisationen vor die Herausforderung, sich ständig neu auszurichten, stabil zu bleiben und zugleich offen für Wandel zu sein. Gerade in unsicheren Zeiten zeigt sich: Organisationsentwicklung ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit.
Doch wie können Organisationen in Krisenzeiten nicht nur reagieren, sondern sich sinnvoll weiterentwickeln? Welche Strukturen, Haltungen und Prozesse machen sie widerstandsfähig und zukunftsfähig? Und welche Rolle spielen dabei Führung, Kultur – und ein verändertes Menschenbild?
Krisen als Katalysatoren für Entwicklung
Krisen wirken oft wie ein Vergrößerungsglas: Sie machen Schwächen sichtbar, die im Alltag leicht übersehen werden – und erzeugen den nötigen Druck, um Veränderungen anzustoßen. Gleichzeitig lösen sie Verunsicherung aus. Bestehende Routinen greifen nicht mehr, die Zukunft ist ungewiss.
In solchen Phasen brauchen Organisationen Orientierung, Reflexion und Handlungsfähigkeit – auf struktureller, kultureller und individueller Ebene.
Organisationsentwicklung bietet hierfür einen Rahmen: Sie schafft Räume, in denen reflektiert, neu gedacht und gemeinsam entschieden werden kann. Dabei geht es nicht um Change um des Wandels willen – sondern um eine bewusste Weiterentwicklung von Haltung, Struktur und Zusammenarbeit.
Laloux und die evolutionären Stufen von Organisationen
Ein hilfreicher Bezugsrahmen für die Betrachtung organisationaler Reife und Wandlungsfähigkeit ist das Modell von Frédéric Laloux, bekannt aus Reinventing Organizations (2014). Er beschreibt verschiedene Entwicklungsstufen von Organisationen – farblich codiert – die mit bestimmten Wertesystemen, Führungsbildern und Organisationsformen einhergehen:
- 🔴 Rote Organisationen (Impulsiv): Macht- und Angstgesteuert (z. B. Gangs, frühe Stammesorganisationen)
- 🟠 Orange Organisationen (Leistungsorientiert): Hierarchie, Effizienz, Wettbewerb – klassisch im Managementdenken
- 🟢 Grüne Organisationen (Plura-liberal): Werteorientiert, partizipativ, familienähnliche Kultur
- 🔵 Türkise Organisationen (Evolutionär): Selbstführung, Ganzheit, Sinn als Leitprinzip
In Krisenzeiten zeigt sich häufig, auf welcher Stufe eine Organisation tatsächlich agiert – unabhängig von ihrem Selbstbild. Unter Druck verfallen viele Unternehmen in alte, hierarchische Muster (Orange/Rot), obwohl sie sich als partizipativ und modern verstehen (Grün).
Die Frage ist also nicht nur: Wie gut funktionieren wir gerade? Sondern: Wie entwicklungsfähig sind wir unter Stress?
Organisationsentwicklung heißt: Haltung entwickeln, nicht nur Strukturen anpassen
Viele Krisenmaßnahmen in Unternehmen konzentrieren sich auf Struktur und Effizienz: Reorganisation, Budgetkürzungen, Digitalisierungsschübe. Das mag kurzfristig nötig sein – greift aber zu kurz, wenn die Kultur nicht mitgezogen wird.
Nach Laloux entsteht echte Entwicklung dort, wo Organisationen beginnen,
- auf Selbstorganisation zu vertrauen (statt Kontrolle zu verschärfen),
- Ganzheitlichkeit zuzulassen (statt Menschen auf Rollen zu reduzieren),
- und Sinnorientierung zu stärken (statt nur auf Kennzahlen zu schauen).
Das bedeutet: Organisationsentwicklung in Krisenzeiten ist kein Reparaturbetrieb, sondern ein kultureller und emotionaler Prozess, der alle Ebenen betrifft – von der Führung über Teams bis zur Kommunikation.
Drei zentrale Entwicklungshebel in der Krise
1. Führung neu denken
In der Krise wird Führung oft als „Starke Hand“ missverstanden. Doch moderne Führung bedeutet nicht, alles zu wissen – sondern Unsicherheit zu moderieren, Vertrauen zu schaffen und Raum für Beteiligung zu lassen. Führungskräfte sind weniger Entscheider:innen, mehr Raumhalter:innen.
2. Teamarbeit bewusst stärken
Teams sind die Orte, an denen Organisation „gelebte Realität“ wird. In Krisenzeiten brauchen Teams Klarheit, Stabilität – aber auch Raum für gemeinsame Reflexion, das Bearbeiten von Konflikten und das Erproben neuer Wege.
3. Sinn und Richtung klären
Krisen rufen die Frage nach dem „Warum“ stärker denn je auf. Mitarbeitende wollen verstehen: Wofür tun wir das alles? Was ist unser Beitrag? Eine klare Vision und die Fähigkeit, diese immer wieder neu zu verankern, ist ein zentraler Stabilitätsfaktor.
Fazit: Organisationen wachsen an ihrer inneren Reife – nicht an äußeren Strukturen
In Krisenzeiten zeigt sich, was Organisationen wirklich ausmacht. Wer ausschließlich an Symptomen arbeitet, bleibt reaktiv. Wer es wagt, tiefer zu schauen – in Haltungen, Kommunikationsmuster, Führungsverständnis und Sinnfragen – eröffnet echte Entwicklung.
Organisationsentwicklung ist kein Projekt, sondern ein Prozess mit Haltung. Und genau darin liegt ihre Kraft: Sie befähigt Menschen, gemeinsam Orientierung zu finden, Verantwortung zu übernehmen – und selbst in der Krise handlungsfähig zu bleiben.
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